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Evangelischer Religionsunterricht in Zeiten von Corona

Lehrerinnen und Lehrer erzählen, wie sie die Krise meistern

Wien (epdÖ) – Briefe von einer Handpuppe? Instagram-Videos vom Lehrer? Eine eigene Homepage für den Unterricht? In der Coronakrise haben viele evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer neue Ansätze entwickelt, um Kinder und Jugendliche zu erreichen, auch wenn die Schulen geschlossen bleiben. Der Evangelische Pressedienst für Österreich hat sich bei einigen von ihnen umgehört und einen kleinen Überblick zusammengestellt, wie Religionsunterricht auch im Krisenmodus funktionieren kann – von der Volks- bis an die Hochschule, von Tirol bis nach Niederösterreich.

Joe Karner: 40 Schulen, eine Website

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen: Da er in Tirol an über 40 Schulen – vom Brenner bis nach Seefeld und von Innsbruck bis ins Ötztal – rund 90 Schülerinnen und Schüler betreut, entschied sich Joe Karner, eine eigene Homepage als Lernplattform einzurichten: “Auch wenn die einzelnen Schulen intern Strukturen aufgebaut haben, ist es für meine Kolleginnen und mich nicht administrierbar, in jedes Schulsystem einzusteigen und dann einen Schüler oder eine Schülerin zu betreuen”, schildert Karner die Herausforderung. Zuvor habe er einige vergleichbare Angebote analysiert, aber feststellen müssen, dass keines davon seinem eigenen Unterrichtsstil entspreche. Selbst ohne Erfahrung in dem Metier habe ihm sein Bruder – ein Webdesigner – unter die Arme gegriffen, erklärt Karner.

Eins zu eins lasse sich der Religionsunterricht freilich nicht ins Netz übertragen: Üblicherweise gehe er immer von der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler aus – sei es bei der Erarbeitung biblischer Geschichten oder bei ethischen Themen: “Nur so können sie die Inhalte mit ihrem eigenen Leben verknüpfen.” Online ließe sich das freilich schwerer realisieren; da behelfe er sich damit, kleine Hörspiele oder Videos aufzunehmen, auch damit ihn die Kinder hören und sehen können: “Ich weiß, dass ich mit diesem Fach bei meinen Schülerinnen und Schülern assoziiert bin und hoffe, dass so vielleicht ein kleines Fünkchen Normalität in diese völlig absurde Zeit kommt”, sagt Karner, der das Online-Projekt, das am 19. April zunächst öffentlich und frei zugänglich startete, auch nach Ende der Einschränkungen durch die Coronakrise fortführen will. “Die Situation im evangelischen Religionsunterricht wird immer prekärer, da müssen wir rechtzeitig neue Wege suchen, wie der Unterricht laufen kann. Jetzt, da uns die Coronakrise dazu zwingt, sind wie schon auf einem neuen Weg.” Zu finden ist Karners Website unter www.reli-in-action.at

Heidemarie Wagner: Briefe von Twuff

Bei Heidemarie Wagners Schülerinnen und Schülern ist es eine Handpuppe, die sie durch die Zeit der Coronakrise begleitet. Der gelbe Filzhund namens Twuff kommt bei Wagner, die an vier Volksschulen und einer Neuen Mittelschule in Kärnten unterrichtet, auch sonst immer zum Einsatz: “Ich stelle den Kindern Twuff immer als meinen Freund vor, der schüchtern ist und nur rauskommt, wenn es ganz leise ist. Der geht dann im Kreis herum und immer das Kind darf sprechen, das Twuff gerade hat.” Dabei lade sie die Kinder ein, ihre Emotionen auf “Gefühlekärtchen” zu schreiben, die dann gesammelt würden. Ziel sei deren emotionale Sprachfähigkeit.

Diesen stark auf Ritualen fokussierenden Ansatz versuche sie auch nun beizubehalten, da die Kinder nicht in die Schule kommen könnten, “wo doch die Beziehung die Basis des Religionsunterrichts ist”. Jetzt schreibe der gelbe Filzhund Twuff den Kindern also wöchentlich Briefe. Auch da versuche sie, die Gefühlekärtchen und Rituale zu integrieren. “Twuff erinnert an diese Rituale und ermutigt dazu, sie auch zuhause zu machen. Sie können ihm dann schreiben, wie es ihnen geht oder wie sie etwa Ostern gefeiert haben.” Tatsächlich habe sie bereits Videos zugeschickt bekommen, auf denen Kinder zuhause Segen sprechen. In den Briefen von Twuff kämen zudem kleine Aufträge, die aber wiederum nicht sie als Lehrerin, sondern der Filzhund formuliere. Ihr Kernanliegen sei es, “die Angebote, die ich im Unterricht zur Verfügung stelle, um sich selbst zu strukturieren, um Spiritualität zu erleben, jetzt in dieser schwierigen Situation auch zuhause zu bieten”, so Wagner.

In den zehn Kapiteln des Readers geht die Jugendreferentin der Evangelischen Kirchengemeinde Lauffen (Württemberg) unter anderem auf den Begriff des Mentoring ein, skizziert mögliche Inhalte und Fragestellungen, analysiert biblische Grundlagen und entwickelt einen Leitfaden zur Entwicklung eines eigenen Mentoringstils. Gegliedert ist die Publikation in thematische Lerneinheiten über je 90 Minuten. Ein Spiel führt zu Beginn jedes Kapitels an das zu behandelnde Thema heran, es folgen Wissensinput und vertiefende Fragen.

Entstanden ist der Mentoring-Reader aus dem Dreiländerprojekt MAM (MitarbeiterInnen-Ausbildung und -Mentoring), an dem neben der Evangelischen Jugend Salzburg-Tirol der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) Oberalster zu Hamburg und die Evangelisch-lutherische Gemeinde Bozen mitwirken. Im vergangenen Jahr hatte das Projekt den von den Ländern Tirol und Südtirol gemeinsam vergebenen Ehrenamtspreis „Glanzleistung“ erhalten. Alle Infos zum Projekt unter www.mam4you.net. Hier findet sich auch der Mentoring-Reader zum Download.

Jutta Aschauer: Distance Learning von der Volksschule bis an die KPH

Gänzlich auf Distance Learning von zuhause aus ist man an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH) umgestiegen. Jutta Aschauer, selbst auch Religionslehrerin in verschiedenen Schultypen und -stufen, ist hier unter anderem in der Ausbildung von Religionspädagoginnen und -pädagogen tätig. Über die Lernplattform Moodle werden Arbeitsaufträge erteilt, Ausgearbeitetes hochgeladen, Feedback gegeben. So sei “durchaus differenziertes Arbeiten möglich”, sagt Aschauer, die an der KPH auch künstlerische Fächer unterrichtet: “Selbst das klappt gut, auch wenn diese Fächer sehr praktisch orientiert sind. Da gebe ich Aufgaben, zu denen die Studierenden Fotos einstellen, und die können dann von allen anderen Studierenden gesehen und kommentiert werden.”

Ob und wie E-Learning in den verschiedenen Schulstufen funktionieren kann sieht Aschauer allerdings zwiespältig: In der Sekundarstufe II – ab dem neunten Schuljahr, sei das ohne weiteres möglich, an den Neuen Mittelschulen nur mehr mit Einschränkung: “Bei den 10- bis 14-Jährigen ist die Gruppe unersetzbar, das fällt da natürlich weg, selbst wenn man auf Plattformen wie YouTube oder Zoom zurückgreifen würde.” Gar nicht vorstellen könne sie sich Religionsunterricht via Internet bei den Jüngsten im Schulsystem: “Religionsunterricht in der Volksschule kann man nicht durch Lernplattformen oder sonstige Arbeitsformen ersetzen. Das geht nicht. Religionsunterricht beruht auf Interaktion, auf persönlichem Kontakt, auf sozialem Lernen, auf Beziehung.” Inhaltlich ließe sich zwar einiges mit Materialpaketen auffangen. Eine Alternative zum direkten Kontakt sei das aber nicht, meint Aschauer.

Ralf Isensee: Als Pfarrer und Lehrer auf Instagram

Mehr Jugendliche als in der Zeit vor Corona erreicht Pfarrer Ralf Isensee. Das liegt freilich nicht nur am Unterricht, der sich für den Religionslehrer am BRG Spittal an der Drau in Kärnten vollständig auf digitale Plattformen verlagert hat, sondern vor allem an seinem Instagram-Account (@bienenpfarrer). Dort postet er allmorgendlich einminütige Videos, die sich auch viele Schülerinnen und Schüler ansehen, die seinen analogen Unterricht gar nicht besuchen, und die zum Teil nicht einmal evangelisch sind. Ergeben habe sich das erst durch die Coronakrise, die ihn wie alle anderen Lehrerinnen und Lehrer vor die Frage gestellt habe, wie er nun seine Arbeit sinnvoll machen könne: “Ich habe mir dann vieles angesehen, was etwa auf YouTube passiert, und mich gefragt: ‘Wer schaut das eigentlich an?’” Vor allem die Länge der dort geposteten Videos habe ihn skeptisch gemacht.

Instagram habe sich dann als gute Alternative für ihn herauskristallisiert. Zum Einen, weil sich dort relativ viele junge Leute aufhielten, zum anderen, weil das spezifische Videoformat von maximal einer Minute in der Grundversion vielen Nutzerinnen und Nutzern entspräche, die sich einfach durchklicken wollten. “Und es ist eine schöne Herausforderung für meinen Beruf”, meint Isensee, der mit Instagram zuvor nur “sporadische Erfahrung” hatte. Die Berührungsängste der Jugendlichen mit ihrem Lehrer seien dabei tendenziell eher gering, stellt Isensee fest, der auch nach der Coronakrise mit den Videos weitermachen will: “Weil ich die Vorteile einfach sehr genieße und weil es eine Möglichkeit ist, mit Menschen in Kontakt zu sein, die ich sonst nicht hätte”.

Einander Tragen in Zeiten geistlicher Heimatlosigkeit

Superintendent Olivier Dantine zur aktuellen Situation

Ich fühle eine Art von Heimatlosigkeit. Vielleicht kann sie auch mit „geistlicher Obdachlosigkeit“ bezeichnet werden. Eine Situation, die bisher außerhalb meiner Vorstellungskraft lag: Eine dringende Empfehlung, sämtliche Gottesdienste und andere religiöse Veranstaltungen abzusagen. Nach allem, was ich höre und lese ist das angesichts der Coronavirus-Pandemie eine notwendige Maßnahme, um die Menschen aus den Risikogruppen zu schützen und einer Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen.

Es hat aber zur Folge, dass das kirchliche Leben sich in diesen Wochen stark verändert. Mir ist die gottesdienstliche Gemeinschaft wichtig. Sowohl wenn ich selbst den Gottesdienst leite als auch wenn ich mit der Gemeinde feiere, Gottes Wort höre, singe und bete und den Segen Gottes empfange. Für meinen Glauben brauche ich die Gemeinschaft, brauche ich die Erfahrung des einander Tragens und Haltens. Und ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Da bricht etwas weg. Es bleibt das Gefühl einer geistlichen Obdachlosigkeit.

Und dann kommt an diesem Tag auch noch die Nachricht herein, dass die „Karfreitags-Klage“ vom Verfassungsgerichtshof zurückgewiesen wurde. Dieser Weg der Bekämpfung der so unglücklichen neuen Karfreitagsregelung war also nicht erfolgreich. Ein wichtiger Tag für das religiöse Leben bleibt also vorerst in der Sphäre des Privaten, er kann nur als ein Urlaubstag in Anspruch genommen werden. Hier ist uns letztes Jahr viel von geistlicher Beheimatung weggenommen worden, und es bleibt auch vorerst dabei. Für Angehörige der betroffenen Kirchen ist das äußerst unbefriedigend, für viele andere Christen auch unverständlich.

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu Jesus: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Lukas 9,57-62; (Predigttext für den Sonntag Okuli, 15.3.2020)

Ich lese den Predigttext vom kommenden Sonntag. Ich lese vom Menschensohn, der nichts hat, wo er sein Haupt hinlegt. Auch er obdachlos. Mich tröstet das in diesen Tagen: Jesus Christus ist auch in dieser Situation der geistlichen Heimatlosigkeit da. Gerade jetzt dürfen wir seiner Nähe gewiss sein. Ein Stück Heimat auch in dieser Heimatlosigkeit können wir so wieder zurückgewinnen. Das möge uns alle durch diese außergewöhnlichen Zeiten hindurchtragen. Wir sind gewiss: Auch jetzt ist Jesus Christus mit uns und wir haben die Hoffnung und Zuversicht, dass wieder die Zeit kommt, in der wir diese Gemeinschaft feiern können, einander nahe sein können und einander die Hand reichen dürfen.

Gleichzeitig ruft Jesus in diesem Predigttext in die Nachfolge, und das mit einem sehr hohen Anspruch: Alles stehen und liegen zu lassen, und Jesus nachzufolgen auf dem Weg, das Evangelium vom Reich Gottes unter die Menschen zu bringen. Dieser hohe Anspruch heißt für hier und heute: Erkennen, was jetzt dran ist, wo wir jetzt gebraucht werden. Es heißt auch, das jetzt gerade nicht notwendige zu lassen.

Gerade in diesen Zeiten sind Zuwendung und Trost wichtig. Es wird in diesen Tagen in den Gemeinden intensiv überlegt, wie die Zuwendung unter Wahrung der bekannten Vorsichtsmaßnahmen möglich ist. Ich bin überzeugt, dass dies in guter und verantwortlicher Weise geschieht. Vielleicht ist es auch gut, sich unter den Pfarrgemeinden darüber auszutauschen. Auch das ist eine Form der Verbundenheit untereinander, die durch diese Zeit tragen kann.

Nicht zuletzt rufe ich zum Gebet auf. Im Gebet sind wir verbunden mit den Kranken und ihren Angehörigen; mit den Menschen, die große Angst vor Ansteckung haben und sich isolieren; mit den Menschen, die sich in Quarantäne befinden und sich große Sorgen machen; mit den Menschen, die durch diese Krise ihren Arbeitsplatz verlieren oder als Selbstständige zur Zeit einen großen Teil ihres Einkommens einbüßen; mit den Menschen, die nach Gemeinschaft und Zuwendung in der Kirche hungern, diese aber nicht in gewohnter Weise erfahren können. Beten wir auch für die Menschen im Gesundheitswesen, dass Sie ausreichend Kraft und Ausdauer haben, aber dennoch auch Zeiten der Ruhe finden. Beten wir für die Verantwortlichen in der Politik und bei den Behörden, dass sie die richtigen Maßnahmen setzen.

Brief von Superintendent Dantine